Die Ausstellung wurde konzipiert und realisiert im Rahmen eines Projektseminars  des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen in Kooperation mit dem Förderverein „Heimat und Kultur in Börstingen e.V.“ 
 

Teilnehmerinnen des Projekts im Wintersemester 2005/2006 und Sommersemester 2006:

 

 Sabrina Belle, Rebekka Bürkle, Carolin Chojnowski, Stefanie Frasch, Marike Frick, Jasmin Käss, Tanja Küchle, Yvonne Macasieb, Cornelia Merk, Olga Springer, Sissel Theuerjahr, Madeleine Wegner.
 
 

Projektleitung: Eckart Frahm

Schlussredaktion: Marike Frick

Aufbau der Ausstellung: Marike Frick und Susanne Haug

 

Wir danken folgenden Institutionen und Personen, die das Projekt finanziell unterstützt haben:

 Gemeinde Starzach (BM Noé), Raiffeisenbank Horb, Ludwig-Uhland-Institut, Max-Richard Freiherr von Rassler, Kreissparkasse Tübingen, Prof. Dr. Walter Jäger, EnBW.


Sepp Buchegger hat das Dorfmuseum-Logo entworfen und dem Förderverein zur Verwendung bereitgestellt.

 

Das Museum ist geöffnet von März bis Oktober, jeden Sonntag von 14 bis 18 Uhr (ansonsten auf Nachfrage).

 

 

Kontakt: Rolf Schorp, Starzelgasse 3, 72108 Rottenburg-Bieringen

Tel. 07472/8813, E-mail:

 


 

 

 
 
Zur Entstehung des Projekts und der Erarbeitung eines Konzepts für das Börstinger Dorfmuseum:

 

Theoretische Grundlagen 

 

 

 

                              

                                                                         

 

 

1. Zur kulturellen Funktion von Dorfmuseen

 

Von Eckart Frahm 

 

Kultur ist ein sanfter, doch nicht zu unterschätzender Entwicklungsfaktor für den ländlichen Raum und ersetzt viele verloren gegangene soziale Funktionen im Bereich der Infrastruktur. Als Planer und Wissenschaftler diese These Ende der 1980er / Anfang der 90er Jahre für die Dorfentwicklung formulierten, war das noch kein allgemeines Thema. Politiker sprachen sehr allgemein von der Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen, und das sollte auch für den ländlichen Raum gelten. Wie das jedoch konkret zu sichern sei, darüber machte man sich damals nicht allzu viele Gedanken.

 

Nehmen wir das Beispiel Börstingen im Neckartal zwischen Horb und Rottenburg: Inzwischen gibt es hier keinen Tante-Emma-Laden mehr, der nicht nur für die älteren Dorfbewohner auch ein sozialer Treffpunkt war; und auch die Kreissparkasse und die beiden Gastwirtschaften haben geschlossen. Überspitzt formuliert: Für die Kom­munikation der Dorfbewohner miteinander bleibt nun kein Ort mehr außer Friedhof und Kirche. Angesichts dieser infrastrukturellen Entwicklung nimmt sich die eingangs formulierte These ungemein aktuell aus. Vielfach erfüllen kulturelle Projekte heute in den Dörfern eine soziale Funktion: Es entstehen neue Treffpunkte, diese bieten Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren und spezifisches Wissen einzubringen; sie tragen bei zur Identifizierung der Bewohner eines Dorfes mit dessen Geschichte und Zukunft; sie sind Anlauf- und Zielpunkt von Besuchern und Touristen.

 

Als der Förderverein „Heimat und Kultur in Börstingen e. V.“ durch seinen Vorsitzenden Rolf Schorp beim Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen im Frühjahr 2005 anfragte, ob Studierende bei der Konzeption und Einrichtung eines Dorfmuseums helfen könnten, kam mir spontan die Dorfentwicklungs-These von der sozialen Funktion der Kultur wieder in den Sinn, und ich bot daraufhin für das Wintersemester 2005/06 und das Sommersemester 2006 ein Projektseminar an mit diesem Ankündigungs-Text:

 

„In Börstingen, einem Dorf zwischen Rottenburg und Horb, im Neckar-Erlebnis(!)-Tal, hat eine Bürgerinitiative es geschafft, dass ein zum Abriss freigegebenes Gemeinde-Haus (früher u. a. Molke, Jugendhaus, Vereinsraum) erhalten werden soll, um dort ein Dorfmuseum einzurichten. Wegen der öffentlich bereitgestellten Mittel muss das in Eigenarbeit durch den inzwischen gegründeten Förderverein bis Ende 2005 realisiert sein. Danach soll mit dem Aufbau eines Museums begonnen werden mit den Schwerpunkten: Habseligkeiten (Alltagsgegenstände früherer Zeiten), Neckar-Flößerei und Sauerbrunnen (Mineralwasserproduktion). Interessant ist, dass man hier von den ersten Initiativen, über die Dokumentation der Hausgeschichte bis zur Einrichtung des Museums die Entwicklung kritisch begleiten kann; man kann darüber hinaus auch museumsdidaktisch arbeiten, ein Rahmenprogramm entwerfen, Marketing untersuchen und machen (Filmdokumentation, Pressearbeit, Faltblätter, Museumsbuch etc.) Angestrebt wird eine Verbindung von theoretischer Reflektion des Themas und unterschiedlicher Präsentation der Ergebnisse.“ 

 

Projektseminare sind eine für das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kultur-wissenschaft typische Form des „forschenden Lernens“. Neben der wissenschaftlichen Arbeit an einem Thema und der erfolgreichen Absolvierung von eigenen kleineren Feldstudien sollen die Studierenden auch lernen, wie man die Ergebnisse informativ und verständlich darstellt, wie man eine entsprechende Veröffentlichung oder eine Ausstellung vorbereitet, wie man auf diese Arbeit mit Hilfe der Medien die Öffentlichkeit aufmerksam macht und wie man die Finanzierung solcher Projekte sichert, also Sponsoren gewinnen kann. Und das alles soll in einem Jahr geleistet werden, wobei am Schluss dann möglichst unverzüglich das Endprodukt, in diesem Fall eine Ausstellung, vorliegen soll. Projektseminare vermitteln deshalb auch eine gewisse Berufs qualifizierende Erfahrung, und das heißt nicht zuletzt, die anstehende Arbeit planvoll und im Team zu schaffen.

 

Unmittelbarer Anlass, dieses Projektseminar anzubieten, war das Engagement von Bürgern, in Börstingen ein Haus neben der Kirche vor dem Abriss zu bewahren. Dieses Haus, gebaut um 1779, hatte im Laufe seiner Geschichte verschiedene Funktionen im Ort, zuletzt allerdings keine ortstypische Identität mehr. Deshalb beschloss der Gemeinderat im Februar 2003 den Abriss, weil die Erhaltungskosten zu groß gewesen wären. Dafür standen öffentliche Mittel zur Verfügung (€ 130.000, davon € 65.000 vom Regierungspräsidium). Dann wechselte der Bürgermeister von Starzach als Oberbürgermeister nach Calw, der Abriss verzögerte sich und Ende 2004 engagierten sich Bürger, um in ehrenamtlicher Tätigkeit das Haus, das der Gemeinde gehört, zu erhalten und ein Dorfmuseum darin zu errichten. Im März 2005 entschied der Gemeinderat Starzach dann unter dem neuen Bürgermeister Thomas Noé, das Haus zu erhalten, falls das Regierungspräsidium den Zuschuss entsprechend umwidmet. Das geschah – in  letzter Minute konnte der Abriss noch verhindert werden. Dann leisteten die Bürger bei der Restauration des Hauses rund 2.500 ehrenamtliche Arbeitsstunden. Im März 2006 wurde das Haus an den Förderverein übergeben, und am 27. August 2006 als „Dorfmuseum“ eröffnet. Es soll eine „Kulturtankstelle“ sein, in der die Besucher Wissen erwerben können, um dann „draußen“ die interessante Ortsgeschichte im Neckartal, in der Landschaft „lesen“ zu können. Für die Bürger des Dorfes Börstingen bietet das Dorfmuseum auch die Möglichkeit, einmal die Bedeutung ihrer eigenen (Lebens-) Geschichte zu sehen und zu erkennen.

 

Die Ausstellung lädt die Besucher ein, sich selbst aktiv anhand der Texte und Fotos ein Bild vergangener Lebensverhältnisse zu entwerfen. Zum Nachlesen, gezielt und in Ruhe, soll die vorliegende Dokumentation der Ausstellung dienen. Wenn darüber hinaus Vorschläge für eine Erweiterung, Ergänzung oder Umwandlung der Ausstellung ausgelöst werden, dann hätten die Ausstellungsmachenden ein weiteres Ziel für die Zukunft der „Kulturtankstelle“ erreicht. Erste Ergebnisse und Reaktionen auf diese Ausstellung und deren Entstehungsgeschichte sind im Anhang ebenfalls dokumentiert. Insgesamt ist diese Ausstellung das Ergebnis einer ungewöhnlichen Kooperation von engagierten Dorf-Bürgern und universitären Kulturwissenschaftlerinnen, wobei beide Gruppen viel voneinander gelernt haben – Kultur ist ein sozialer Faktor!

 

  

2. Exponieren statt deponieren

 

Von Tanja Küchle

 

Heimatmuseen sind auf die „Dokumentation von lokalen, regionalen oder sozialen Herkunftswelten aus – mit dem Effekt, dass überall die gleichen Webstühle, Wurststopfapparate, die gleichen Tabakspfeifen und Mai-Abzeichen exponiert sind.“[1] Rund die Hälfte aller deutschen Museen sind mittlerweile heimatkundliche Museen. Und da sind spezielle Kulturmuseen, Geschichtsmuseen und ähnliche noch nicht einmal eingerechnet. Wozu also schon wieder ein Dorfmuseum? Diese Frage mussten auch wir uns gefallen lassen, denn sie war berechtigt. Folglich hatten wir genau dieses Fragezeichen im Kopf, als wir uns als Projektgruppe des Ludwig-Uhland-Instituts aufmachten, um einige solcher Museen in der Umgebung Tübingens zu besichtigen. In den von uns besuchten Heimatmuseen wurde uns schnell klar, was wir für Börstingen nicht wollten. Die Räume waren bis unter die Giebel mit staubigem Gerät vollgestellt, das zwar zeitlich meist eingeordnet, aber in keinen erkennbaren historischen Rahmen eingebettet war. Es fanden sich alte Mehlsäcke neben alten Mehlsäcken, Webstühle neben Garn und Spule, Waschbrett neben Waschmaschine. Und das war er dann auch schon, der viel zitierte „rote Faden“. Nur selten wurden die Objekte genutzt, um erlebte Geschichte zu vermitteln, und didaktische Konzepte wurden nur sehr dürftig eingesetzt. Die Ausstellungen waren zwar ein Fest für die Augen, weil es derart viel zu entdecken galt, aber im Gedächtnis blieb uns davon kaum etwas haften – außer jenen Dingen, die man als Besucher berühren, in Gang setzen, ausprobieren durfte. 


Bei der Erarbeitung eines Konzepts für das zukünftige Dorfmuseum in Börstingen war uns deshalb Folgendes wichtig: Wenige, sorgfältig ausgewählte Ausstellungsobjekte sollten exponiert statt deponiert werden. Innerhalb eines klar begrenzten Zeitraumes sollten sie die spezielle Geschichte von sich und den Börstingern über verschiedene Sinne erfahrbar machen. Über Sehen, Hören und Berühren sollten sie beim Besucher ein Gefühl für die vergangene Zeit und das Leben der Menschen im Ort wecken. Wir wollten keine Alibi-Objekte, die nur als hübsche Dreingabe für lange Museumstexte fungieren. Die Objekte sollten, sofern möglich, immer die zentrale Rolle in der Ausstellung spielen. Alle anderen unterstützenden Mittel wie Texte und Fotos sollten lediglich Begleiter bleiben. Schließlich war in unseren Augen genau dies der Vorteil des Mediums Museum, dass es nämlich aus dem Schatten des rein über Schrift vermittelnden Buches heraustritt und eine vergangene Welt in sinnlich erfahrbare Nähe bringt, quasi Geschichte vergegenwärtigt. Wir wollten eher zeigen als erzählen oder erklären, denn „jemandem etwas zeigen bedeutet schließlich, ihn erkenntnismäßig an etwas teilhaben zu lassen und ihn somit zu eigenen Gedanken anzuregen“[2], so der Museumstheoretiker Zbynek Z. Stransky. Diese eigenständige Reflexion des Besuchers sollte auch dadurch erreicht werden, dass wir als Ausstellungsmacher nicht allmächtig Geschichte erzählen wollten. Wir wollten keine blickdichte Inszenierung, die einen normativen Deutungsanspruch auf das Dargestellte erhebt. Es sollten vielmehr kleine, persönliche Erzählungen bleiben, deutlich markiert als Erinnerungen, als gegenwärtige Sichtweisen auf Vergangenes und als bloße Versuche einer Deutung.

 

Durch die Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart sollte das Dorfmuseum so zum institutionellen Bindeglied mit Identität stiftender Funktion werden, dass diese Wirkung gleichsam an einem bestimmten Ort real erfahrbar macht. Der Besucher sollte sich in Bezug auf die Vergangenheit positionieren können und damit idealer Weise auch eine Möglichkeit bekommen, sich in der Gegenwart zu verorten. Oft ist die jüngere Vergangenheit für die Besucher je sogar persönlich erinnerbar und ermöglicht damit einen ganz individuellen Zugang zum ausgestellten Gegenstand und der damit verbundenen Geschichte. In Börstingen sollte das Museum auf Wunsch der Bewohner und des Fördervereins auch „Kulturtankstelle“ werden, das heißt der langjährige alte Dorfmittelpunkt sollte als solcher revitalisiert werden. Gleichzeitig wollten wir das dortige Landleben jedoch nicht idyllisieren, und das Regionale nur dort betonen, wo es tatsächlich eine Besonderheit darstellte, beispielsweise im Bereich Mineralwasser und Kohlensäureförderung in Börstingen.

 

Prinzipiell wollten wir in der konkreten Ausstellung Möglichkeiten der Inszenierung nutzen, die ein Befremden beim Besucher auslösen und ihn damit zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Dargestellten zwingen. Nur, wie die vielen unterschiedlichen Aspekte als Ganzes – vereinbar wohl nur in einer Art „musealer Wollmilchsau“ – funktionieren sollten, war uns danach lange Zeit nicht deutlich vor Augen. Aber mit der Fixierung dieser konkreten Ziele konnten wir zumindest unsere Position und unseren Anspruch gegenüber dem Börstinger Förderverein formulieren und in Verhandlungen vertreten. Im Laufe des Projekts schieden dann einige Überlegungen sehr bald aus, weil sie nicht durchführbar oder in diesem Rahmen nicht sinnvoll waren, wohingegen sich andere Aspekte als wertvoll erwiesen und zum Teil unser endgültiges Ausstellungskonzept leiteten – dazu mehr im nächsten Abschnitt. 

 

3. Zur Konzeption der Ausstellung – Idee, Themenbereiche,
    Präsentation

Von Olga Springer 

„Das Museum ist per definitionem der Ort, wo Dinge, bedeutungsvolle Dinge, aufbewahrt werden.“[3]

 

In unserer endgültigen Konzeption für die Ausstellung im Börstinger Dorfmuseum wollten wir uns jedem ausgestellten Gegenstand aus verschiedenen Richtungen nähern: Zuerst mit dem Schwerpunkt auf der persönlichen Geschichte eines Menschen, dann mit Blick auf die Rolle des Objekts im landwirtschaftlichen Leben und seine sozialhistorische Bedeutung.

 

Dabei sahen wir uns mit einigen Vorgaben konfrontiert, die nicht ganz einfach in ein auch wissenschaftlich vertretbares Vorgehen einzubinden waren: Die Sammlung, die Rolf Schorp angelegt hatte, bestand aus Objekten, deren individuelle Geschichte sich nicht in jedem Fall nachzeichnen ließ, da sie weder datiert waren noch in einer Beziehung zueinander standen – außer eben insofern, als sie alle von Rolf Schorp als bewahrungswürdig in seine Sammlung aufgenommen waren. Trotz der Heterogenität der Sammlung ließen sich aber schnell die Themenbereiche abgrenzen, die das vorhandene „Arbeitsmaterial“ hergab: Ein großer Teil der Objekte stammte aus dem Bereich „Bäuerlicher Haushalt und Hof“, eine weitere, beträchtlich kleinere Objektgruppe ließ sich dem Thema „Schwäbisches Sauerland“ zuordnen und ein letzter Bereich gehörte zum Thema „Neckarflößerei“. Wir entschieden uns anhand der Sachlage, die beiden ersten Bereiche zum Mittelpunkt der Ausstellung zu machen, da sie den besten Objektbestand boten.

 

Allerdings bestand weiterhin das Problem, dass unsere Objekte sozusagen anonym waren, da wir sie weder genau datieren noch ihren Lebenslauf zurückverfolgen konnten. Es galt, aus Gegenständen, die da unbelebt auf einem Dachboden lagen, Dinge mit Ausstellungswert zu machen, ihnen also Anschaulichkeit und Aussagekraft gewisser­maßen auf den Leib zu schreiben. Anders gesagt: Die Dinge mussten kontextualisiert und in Hinblick auf die Lebenswelt, der sie entstammen, interpretiert werden.[4] Dies erschien uns nur möglich, indem sie mit der individuellen Lebensgeschichte eines Menschen verknüpft werden. So nahmen wir eine erste Auswahl vor und fotografierten einige der Objekte. Die Fotos stellten wir dann in den Räumen des Dorfmuseums aus und machten sie so den Börstinger Einwohnern zugänglich. So konnten wir mit vielen Personen, die noch mit einem der abgebildeten Gegenstände umgegangen waren, Interviews führen. Wir zeichneten die Gespräche auf, um sie später in der Ausstellung zu verwenden. Natürlich handelt es sich bei dieser Art der Präsentation um eine deutliche inszenatorische Konstruktion, denn schließlich war es ja nicht genau dieses Objekt, das der Erzählende in seiner Jugend selbst benutzt hat – die Objekte dieser Ausstellung haben also Stellvertreter-Charakter. Trotzdem können sie in ihrer „Erinnerungs-Veranlassungsleistung“[5] zur Geltung kommen. Durch diese Vorgehensweise haben wir auch eine Art indirekter Datierung gewährleistet: Die meisten unserer Interviewpartner bezogen sich in den Gesprächen auf die 1930er und 1940er Jahre.

 

Ausgehend von diesen Interviews schrieben wir auch die Texte zur geschichtlichen Bedeutung des Gegenstands. Wenn ein Mensch sich im Zusammenhang mit dem Gegen-stand an ein bestimmtes Ereignis oder einen Abschnitt seines Lebens erinnerte, nahmen wir dies zum Anlass, allgemeine Aspekte dieser Erinnerung in einem Sachtext aufzuzeigen. So erinnerte sich beispielsweise eine Gesprächspartnerin beim Anblick einer Knöpflemaschine an die Zeit, in der sie als Jungverheiratete neu nach Börstingen gezogen war und als Fremde galt. Ein Sachtext handelt dementsprechend von Fremdem und Eigenem im dörflichen Zusammenleben. Ein weiterer Text geht darauf ein, wie man die Knöpflemaschine benutzte und zu welchen Anlässen Knöpfle gegessen wurden. So wurden die Interviews, die in Ausschnitten in der Ausstellung zu hören sind, bestimmend für die inhaltliche Gestaltung der Ausstellung.

 

In der musealen Präsentation wird dies folgendermaßen umgesetzt: Der Gegenstand steht auf einem rechteckigen Holzsockel (100 cm x 50 cm x 50 cm). In den Sockel sind an drei Seiten flache Schubladen eingelassen, die Texte zum Gebrauch des Ausstellungs-Stücks und seinem sozialhistorischem Hintergrund enthalten. Wir widmen uns darin Fragen wie: Was bedeutete der Gegenstand für die Menschen?  Wofür steht er? Welche Aussagen kann man durch ihn über das damalige Leben treffen? Die vierte Schublade ist tiefer und enthält einen CD-Player, auf dem sich der Besucher die Erinnerung eines Menschen zu dem Gegenstand anhören kann. Dabei haben wir uns bemüht, anekdotenhafte Interviewstellen auszuwählen, die besonders anschaulich oder auch besonders unterhaltsam das Leben der Menschen vor etwa fünfzig bis hundert Jahren deutlich machen. Das Konzept beruht wesentlich darauf, dass jedes Objekt nicht nur für sich steht, sondern darüber hinaus auf etwas Anderes verweist – also zum Beispiel auf „das Fremde“ oder auf Themen wie „Frauenarbeit“ und „Soziale Kontrolle auf dem Dorf“.

 

In dem bewussten Versuch, eine Alternative zur gängigen „Ästhetik“ von volkskundlichen Ausstellungen zu bieten, hielten wir die Ausstellung möglichst kühl und schlicht. So sind die Holzsockel weiß gestrichen und die auf ihnen stehenden Gegenstände bewusst ohne Bezeichnung belassen. Stattdessen ist jedes Objekt mit einem Schild versehen, auf dem ein kurzer Teilsatz aus einem der Interviews zu lesen ist. Schlagsätze wie „Das waren ja Plumpsklos“ als Beschriftung des Ausstellungsgegenstandes Dochtschere sollen irritieren und somit Aufmerksamkeit und Neugier hervorrufen. Die Gegenstände, die ja eigentlich als Repräsentanten einer „altbekannten“, geradezu museal abgenutzten bäuerlichen Kultur stehen, erscheinen so in neuem Licht. Das Befremden am Eigenen soll Interesse wecken, sich näher mit dem Gegenstand und den Menschen, die ihn benutzten, zu befassen. 

 

Die auch räumliche Isolierung des einzelnen Gegenstands auf dem Sockel verweist auf das Museum als das „Haus des Nichtzusammengehörigen“[6]: Es beherbergt Dinge, die aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissen sind und die noch dazu untereinander keinerlei Verbindung haben müssen. Selbst die Kategorien, unter denen die Dinge zusammengefasst werden, sind reine Konstruktionen. So behält das Ding im wahrsten Sinn seine Eigenständigkeit und das Potenzial, in seiner Materialität eine Aussage zu treffen, noch bevor es schließlich von Texten eingeordnet und von Erinnerungen mit ‚externer’ Bedeutung versehen wird. Dem Besucher, der sich die zusätzlichen Informationen durch das Öffnen der Schubladen und das Drücken der Start-Taste am CD-Player erschließt, bleibt die Möglichkeit zur eigenen Überlegung und Bewertung – und letztendlich auch zur ganz eigenen Entdeckung, denn ein „Pfad“ durch das Museum ist nicht vorgeschrieben. Zwar sind die Objekte bestimmten Themenbereichen wie „Arbeitswelten“ oder „Jahreszeiten“ zugeordnet und auch in einem Raumplan gekennzeichnet. Aber wie der Besucher die Ausstellung dann tatsächlich entdeckt, ist ihm selbst überlassen. Schließlich steht jedes Exponat für sich und erzählt quasi eine in sich geschlossene Geschichte; kein Gegenstand baut auf einem anderen auf. Im Prinzip können weniger „ausdauernde“ Besucher mal hier, mal da eine Schublade aufziehen und sich wie ein Puzzle ihre ganz eigenen Erkenntnisse zusammensetzen. Das Wichtigste aber ist: Der Besucher wird durch das Aufziehen überhaupt erst aktiviert und beschäftigt sich somit intensiver mit dem Gegenstand und seiner Geschichte, als es durch einen Text an der Wand möglich wäre.

 

Die Art der Präsentation erlaubt bei Bedarf das relativ unkomplizierte Umbauen der Ausstellung. Wenn sich also die Sammlung erweitert und sich daraus neue Themenbereiche ergeben, besteht die Möglichkeit, zusätzliche Sonderausstellungen beziehungsweise eine neue Dauerausstellung einzurichten. Das Konzept, einen Gegenstand in den Mittelpunkt zu stellen und ihn mit einer persönlichen Erinnerung sowie informativen Texten zu umgeben, ist schließlich beliebig fortsetzbar. Wichtig dafür sind das sachgerechte Sammeln neuer Gegenstände sowie das Finden von Geschichten und Anekdoten. Vermieden werden sollte dabei unbedingt ein „Nur-Hinstellen“ oder Anhäufen. Es ist schließlich die Konzentration auf einige wenige Gegenstände, das auf den ersten Blick Minimalistische, das die Faszination dieser Ausstellung ausmacht. Denn bei genauerem Hinsehen eröffnen sich weitere Ebenen – und zwar exakt so viele, wie der Besucher es wünscht. Indem er die Schubladen heraus zieht, entdeckt er die Vielfalt hinter dem augenscheinlichen Minimalismus. Eine solche Dynamik des Entdeckens ist das, was ein lebendiges Dorfmuseum ausmacht. Eines, in das man nicht nur hinein geht, sondern in das man involviert wird.

 



[1] Gottfried Korff: Die Wonnen der Gewöhnung. In: Museumsdinge. Deponieren – exponieren. Köln 2002, S. 155 – 166.

[2] Der Artikel heißt: Zbynek Z. Stránsky: „Die Prinzipien der musealen Ausstellung“. In: Neue Museumskunde, Nr. 24 (1981).

[3] Mathilde Jamin; Frank Kerner: Zur Konzeption der Ausstellung. In: Mathilde Jamin und Frank Kerner (Hg.): Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum. Essen, Bottrop 2004, S. 28.

[4] Vgl. Klaus Weschenfelder: Prinzip Zufall? – Über das Sammeln in kleinen Museen. In: Museumsmagazin. Museumsarbeit. Zwischen Bewahrungspflicht und Publikumsanspruch. 1992, H. 5, S. 37.

[5] Gottfried Korff: „Zur Eigenart der Museumsdinge“ (1992). In: Eberspächer, Martina/Gudrun Marlene König/Bernhard Tschofen (Hgg.): Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. Köln 2002, S. 143.

[6] Paul Valéry: „Das Problem der Museen“. In: ders.: Über Kunst. Frankfurt/M. 1959. S. 52-58. Zit. in: Gottfried Korff: „Zur Eigenart der Museumsdinge“ (1992). In: Eberspächer, Martina/Gudrun Marlene König/Bernhard Tschofen (Hgg.): Gottfried Korff: Museumsdinge. Deponieren – Exponieren. Köln 2002, S. 140.